Ein Sklave? Niemals!

Ein Text aus dem Buch Deuteronomium lässt mich nicht in Ruhe:

„So spricht der Herr: Halte den Sabbat: Halte ihn heilig, wie es dir der Herr, dein Gott, geboten hat! Sechs Tage darfst du schaffen und all deine Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du und dein Sohn und deine Tochter und dein Sklave und deine Sklavin und dein Rind und dein Esel und dein ganzes Vieh und dein Fremder in deinen Toren. Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du.
Gedenke, dass du Sklave warst im Land Ägypten und dass dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat.
Darum hat es dir der Herr, dein Gott, geboten, den Sabbat zu begehen.“
(Dtn 5,12-15)

Du warst Sklave in Ägypten. Nein, das sagt jeder, der diesen Satz hört oder liest: Ich war es nicht. Das waren ein paar hundert Israeliten vor ungefähr 3000 Jahren. Ich war kein Sklave in Ägypten.

In den Texten zur jüdischen Feier des Pessachfestes gibt es einen Hinweis: „In jeder Generation soll der Mensch sich betrachten, als sei er selbst aus Ägypten ausgezogen.” Ägypten wurde zu einem Symbol des Lebens, das aus einer bestimmten Mischung bestand: Einerseits war die Unfreiheit. Die Israeliten waren in Ägypten nichts anderes als Sklaven. Andererseits gab es dort wahrscheinlich gutes Essen. Fast sprichwörtlich sind die Fleischtöpfe Ägyptens geworden, zu denen sich die Israeliten in der Wüste zurückgesehnt haben. Sie haben sich auch nach den Fischen gesehnt, nach den Gurken und Melonen, nach dem Lauch, den Zwiebeln und dem Knoblauch. Sklaven waren sie, keine Frage. Aber gut zu essen, das hatten sie auch.

Die Sklaverei wurde in fast jedem Land der Welt abgeschafft, zumindest auf dem Papier. Das bedeutet aber keineswegs, dass es keine Abhängigkeiten mehr gibt, im Gegenteil. Wir sind nicht mehr Sklaven anderer Menschen oder Organisationen. Aber vielleicht ohne es sofort zu merken, sind wir Sklaven gesellschaftlicher Richtlinien, Regeln und Bedingungen, die das Leben bestimmen. Die sind bei vielen Menschen ähnlich: Hauptsache, das Materielle stimmt. Hauptsache, es ist genug Geld da. Hauptsache, ich gelte etwas.

Das Motto der neuen Religion lautet „Wirtschaftswachstum“, ein Leitmotiv, das mittlerweile fast alles und jeden beherrscht - nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen. „Was würden Sie für Geld nicht tun?” lautete die hintersinnige Frage von Max Frisch. Zehn Stunden mehr in der Woche arbeiten, auch wenn die Familie zu kurz kommt? Auch wenn es der Gesundheit schadet? Das Problem ist nicht das Geld, sondern dass es global und privat immer mehr davon geben muss und dass der Konsum wichtiger wird als alles andere. Ägypten, das sind Sklaven, die aus gut gefüllten Fleischtöpfen essen und vielleicht gar nicht mehr spüren, dass sie Sklaven sind.

Es gibt etwas, was diesem allgegenwärtigen Wirtschaftswachstum entgegensteht: der Sabbat. Sabbat, übersetzt: aufhören, ruhen. Alle sieben Tage. Der Sabbat ist ein Dorn im Auge in einer Gesellschaft, die von den Gesetzen des Wachstums dominiert wird. Er ist die Erinnerung daran, dass es irgendwann genug ist und nicht andauernd „immer mehr” sein muss.

Die Grundidee des Sabbats wird auch in der Gestalt des Sonntags lebendig: Zeit für Gott, Zeit für andere Menschen, für die Schöpfung, Zeit für sich selbst. Nichts leisten und produzieren. Ruhe finden und einander Ruhe gönnen. Für jeden, der nur von der Idee des Wachstums bestimmt wird, wird das schwierig: verschwendete Zeit. Das kann man sich doch nicht leisten. Das hindert das Wachstum.

Doch man muss nicht alles tun, was man könnte. Manchmal muss man sogar deutliche Zeichen setzen. Der Sabbat, der Sonntag ist so ein deutliches Zeichen. Wir sind keine Sklaven des Wachstums. Wir sind nicht mehr Sklaven. Um das nicht zu vergessen, hat uns der Herr geboten, den Sabbat zu halten.

 

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