Wie ein Baum
Es gibt einen psychologischen Test, bei dem man aufgefordert wird, einen Baum zu zeichnen. Je nachdem, wie dieser Baum dann aussieht, lassen sich Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Zeichners ziehen. Der Psychologe Charles Koch ist mit dieser Erkenntnis berühmt geworden.
Der Vergleich von Menschen mit Bäumen ist nichts Neues. Schon vor Tausenden von Jahren hieß es in der Heiligen Schrift, der Mensch sei „wie ein Baum” oder „wie ein kahler Busch”, je nachdem, wo er stehe. Im Buch Jeremía heißt es: „Verflucht der Mensch, der auf Menschen vertraut, auf schwaches Fleisch sich stützt und dessen Herz sich abwendet vom Herrn. Er ist wie ein Strauch in der Steppe, der nie Regen kommen sieht; er wohnt auf heißem Wüstenboden, im Salzland, das unbewohnbar ist. Gesegnet der Mensch, der auf den Herrn vertraut und dessen Hoffnung der Herr ist. Er ist wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen.“ (Jer 17,5-8)
Auch Jesus sagte einmal: „Lernt aus dem Gleichnis vom Feigenbaum!” (Mt 24,32) Wenn Jesus sagt: „Seht den Feigenbaum und die anderen Bäume an” (Lk 21,29), meint er damit nicht eine menschliche Persönlichkeit, sondern vielmehr das Reich Gottes: „So erkennt ihr, (…) dass das Reich Gottes nahe ist.“ (Lk 21,31)
Inspiriert durch den Vergleich mit dem Bild eines „Baumes” können auch wir die Verbindung zwischen der Persönlichkeit eines jeden Menschen und dem Reich Gottes erkennen. Es muss eine Verbindung geben, denn jeder Mensch - jede Persönlichkeit - ist dazu berufen, sich im Reich Gottes, in der höheren Wirklichkeit zu entwickeln. Jedes Menschenleben ist für einen höheren Zweck bestimmt und jeder ist durch die Taufe bereits ein „Bürger” dieses Reiches.
Der Mensch sollte sein „wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und zum Bach seine Wurzeln ausstreckt: Er hat nichts zu fürchten, wenn Hitze kommt; seine Blätter bleiben grün; auch in einem trockenen Jahr ist er ohne Sorge, er hört nicht auf, Frucht zu tragen.” Ein wunderbares Bild der Persönlichkeit eines Menschen, der fest in seinem Glauben steht und den nichts erschüttern kann, weil er fest in Christus steht! Selbst in Momenten der Dunkelheit sieht er das Licht, in Momenten der Traurigkeit findet er Trost, in Momenten der Krise hält er durch und verliert nicht den Mut. Er bringt beständig Früchte hervor, und wenn er Gutes tut, hilft und tröstet er andere.
Aber der Mensch ist etwas anderes als ein Baum. Er kann seinen Standort selbst bestimmen. Auch wenn er von seinen Eltern sozusagen „eingesetzt” wurde oder auch „der Apfel nicht weit vom Stamm fällt”, ist jeder selbst dafür verantwortlich, wo er im Leben steht, nach welchen Grundsätzen und Werten er sein Leben gestaltet, mit wem er sich umgibt, wohin er geht und welche Entscheidungen er trifft. Letztlich entscheidet jeder selbst, was ihm wertvoll ist und welchen Sinn er in seinem Leben sieht.
Eltern, Lehrer, Seelsorger und wahre Freunde haben die Funktion eines Wegweisers zur eigenen Persönlichkeit. Wichtig ist jedoch, dass jeder für sich erkennt, dass Jesus Christus der Weg ist. Erst der feste Glaube macht die wahre Persönlichkeit eines Menschen aus.
Als Kirche sollen wir ein Garten sein, wo gerne Bäume wachsen, wo Menschen in ihrer Freiheit Standort suchen und heranreifen zu großen Persönlichkeiten, wo Heranwachsende einen guten fruchtbaren Boden vorfinden, der guten Halt gibt und die wirklich wichtigen Nährstoffe enthält. In diesem Garten soll die Sonne scheinen, auch wenn es manchmal regnet.